"Alle sollten sich wohlfühlen"
Der langjährige SPORT 2000 Geschäftsführer Hans-Hermann Deters konnte den Puma-CEO Björn Gulden für ein Gespräch gewinnen.
Herr Gulden, vor Ihrer Zeit als Manager waren Sie Fußballprofi. Was war Ihre mutigste Entscheidung?
Björn Gulden: Eine einzelne Entscheidung fällt mir nicht ein. Jedes Mal, wenn man eine neue Herausforderung annimmt, braucht man Mut. Und ich hoffe, ich bringe diesen Mut jeden Tag mit.
Puma bekennt sich in besonderem Maße zum Fachhandel, andere globale Konzerne setzen momentan eher auf direct to consumer (DtoC). Empfinden Sie das als mutige Entscheidung? Das kommt auf die Perspektive an. Gegenüber den Investoren ist es durchaus mutig. Aber es gibt sehr wenige Marken in unserer Branche, die DtoC erfolgreich umsetzen können. Vielmehr glaube ich, dass Multi-Branded-Retail die Zukunft ist. Der Konsument will selbst entscheiden, was er kauft. Er ist schließlich nicht das Eigentum einer einzelnen Marke. Somit ist es für mich mehr eine philoso- phische Frage. Wenn ein Kunde mit dem Laufen anfängt, dann will er zu einem Spezialisten gehen, der mehr als nur eine Marke führt. Ich bin kein Fan von „Mono Branded“ als einzigem Kanal. Das ist sehr riskant und ein bisschen langweilig.
Ist es nicht trotzdem mutig, als börsennotiertes Unternehmen auf ein Geschäftsfeld zu setzen, das nicht den gleichen Profit ermöglicht wie das Direct-to-Consumer-Geschäft?
Ja, das kann sein. Aber Mut bedeutet auch, ehrlich zu sein. Derzeit wachsen wir global 15 Prozent pro Jahr, mit dem Handel stärker als mit DtoC. Die Profitabilität steigt. Wenn wir eine Ebit-Marge in Höhe von zehn Prozent haben, bin ich damit sehr zufrieden. Dann habe ich genug Geld, um meinen Investoren etwas zurückzugeben, und kann in weiteres Wachstum investieren. Für Puma sehe ich das als einzig richtige Strategie.
Auch der stationäre Handel steht vor besonderen Herausforderungen und muss sich dem veränderten Konsumentenverhalten anpassen. Was ist die Erwartungshaltung von Puma in Richtung unserer Händler? Müssen sie mutiger sein – und wenn ja, wo?
Der Handel sollte den Mut haben, auf Neuheiten zu setzen; zu einer gewissen Balance im Sortiment; und selbstbewusst an sich zu glauben. Händler können Handel besser als die Marken. Die Kombination aus guten, starken Marken und neuen, innovativen Produkten – das ist die Zukunft.
Verbundgruppen spielen in Deutschland eine besondere Rolle. Was müssen sie tun, um zukunftsfähig zu bleiben?
Wenn man als Verbundgruppe die Stärke der gesammelten Händler im Markt nutzen kann und dabei effizient ist, wird man erfolgreich sein. Die Kombination von Generalisten und Spezialisten ist für mich die Zukunft, und da sehe ich insbesondere die SPORT 2000 auf dem richtigen Weg. Sicher sind Verbundgruppen manchmal komplizierter für uns als ein Filialist, der alles in der Hand hat. Aber ich verstehe auch, dass Dinge ein bisschen Zeit brauchen. Einige Entscheidungen muss man verschlanken, da man sonst keine Kaufkraft hat und die Effizienz im Marketing verschwindet. Also: ein bisschen mehr Effizienz, ein bisschen mehr Konsolidierung, ein bisschen schneller entscheiden – dann bin ich zufrieden.
„Wer digital und stationär kombiniert,
tut das Richtige.“
Wird E-Commerce überschätzt?
Die Handelslandschaft hat sich zweifellos stark verändert. Die einen setzen nur auf E-Commerce, die anderen auf stationären Handel. Die Annähe- rung der beiden Kanäle, sich also digital zu vermarkten und ein digitales Kaufangebot zu ermöglichen und gleichzeitig stationär präsent zu sein, wird sich durchsetzen. Dass der stationäre Handel verschwindet, glaube ich nicht. Ich kann nur jedem Händler sagen: Wer digital und stationär kombi- niert, tut das Richtige.
Sie haben als Puma-CEO sehr früh damit begonnen, die Beschaffung unabhängiger zu gestalten. War das eine mutige Entscheidung?
Fast jede Entscheidung ist mutig, wenn andere Leute sie anzweifeln. Ich bin aber schon lange im Geschäft und habe das Glück, die Fabriken, Asien und den Handel gut zu kennen. Somit halte ich das im Nachhinein für nicht besonders mutig.
Was macht Puma dann mutig?
Wir sehen den Markt nicht als die eine Welt, son- dern als Summe aus vielen lokalen Märkten. Wer glaubt, alles verkauft sich in allen Ländern gleich gut, der irrt. China, Amerika und Europa entwi- ckeln sich zunehmend unterschiedlich. Für eine Marke wie uns muss man lokale Ketten aufbauen. USA ohne Basketball ist undenkbar, Europa ohne Fußball ebenso. Genauso ist es in der Mode. Es gibt Gemeinsamkeiten und gleichzeitig große Unterschiede. Deshalb bearbeiten wir jede Region unabhängig voneinander. Das ist vielleicht mutig und vielleicht auch ein bisschen anders. Aber der Konsument ist eben sehr lokal. Eine Frau in Shanghai wird davon beeinflusst, was in Shanghai passiert. Eine Frau in München von München. Und das muss nicht immer das Gleiche sein. Um schnell zu sein und Erfolg zu haben, muss man lokal denken. Das ist in Bezug auf eine Organisation sicher mutig, weil man viel mehr Menschen Verantwortung geben muss, sodass sie unabhängig und dezentral entscheiden können. Aber das ist auf jeden Fall meine Philosophie.
Sie haben seit 2013 hart daran gearbeitet, Puma wieder stärker im Performance-Sport zu positionieren und weniger von Lifestyle abhängig zu sein. Der Runningmarkt ist aber sehr hart umkämpft …
Das hat mit Timing zu tun. Im Bereich Leichtathle- tik waren wir sehr aktiv und erfolgreich. Aber im Laufsport hatten wir seit vielen Jahren weder genug Kompetenz noch Ressourcen. Im Jahr 2019 haben wir ein Team in Boston zusammengestellt. Die Ansage war: Kommt nicht zurück, bevor ihr den besten Schaum, die beste Sohle, das leichteste Material und die beste Karbonplatte habt. Denkt gar nicht an Margen, macht nur das beste Produkt. Mitte 2020 kamen sie zurück. Damals gab es, sicherlich auch aufgrund der Coronapandemie, einen absoluten Running-Boom. So haben wir mit relativ wenig Paarzahlen eine gute Markt-Distribution erreicht, die Kollektion hat sich sehr gut verkauft.
Also muss man seinem Team vor allem Zeit und ein Budget geben?
Wenn eine Firma Geld hat, kann sie gute Entscheidungen treffen. Dann kann sie ihre Mitarbeiter gut behandeln und in die Zukunft investieren. Ob man Geld hat, hängt aber davon ab, wie gut das Geschäft läuft und sicher auch davon, wer der Eigentümer ist. Wir waren in der glücklichen Lage, dass wir immer ein bisschen mehr Geld verdient haben, und das bei hohem Wachstum. So hatten wir stetig mehr Ressourcen, um weiterzukommen. Aber es hängt natürlich auch von deinem Aufsichtsrat und deinen Eigentümern ab. Sie müssen ebenfalls Zeit und Ressourcen zur Verfügung stellen.
Das Thema Nachhaltigkeit hat Puma schon vor Ihrer Zeit berücksichtigt. Nun gibt es den ersten kompostierbaren Sneaker. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Puma?
Bei Nachhaltigkeit ist es nicht mehr eine Frage des Ob, sondern nur des Wie. Wir alle haben die Verpflichtung, unseren Kindern und Enkelkindern eine bessere Welt zu hinterlassen. Es gilt aber weiterhin: Ein nachhaltiges Produkt muss ein gutes Produkt sein. Wenn es um Mode geht, muss es dem Zeitgeist entsprechen. Wenn es um Funktion geht, muss es funktionieren. Nachhaltigkeit spielt bei allem eine Rolle. Beim Produkt, in der Kette, bei unserem Verhalten.
Welche Rolle spielt der Handel beim Thema Recycling?
Kreislaufsysteme können nur mit dem Handel funktionieren. Egal ob Puma, Adidas oder Nike: Wir dürfen in diesem Bereich nicht konkurrieren, sondern müssen kooperieren. Der Konsument muss im Handel Ware ganz einfach zurückgeben können. Und die Unternehmen müssen sich die Kosten für das Recycling teilen, damit nicht jeder sein eigenes System aufbaut. Die Technologien sind da, wir müssen sie nur skalieren. Der stationäre Handel kann dabei die Führungsrolle übernehmen. Er hat den Kontakt zum Endkunden. Wir brauchen dringend Lösungen auf nationaler Ebene.
Klingt nach Perspektiven für eine neue Partnerschaft.
Hundertprozentig!
Blicken Sie trotz der vielen aktuellen Probleme optimistisch in die Zukunft?
Bezogen auf unseren Markt ganz sicher. Wir sind in einer glücklichen Situation. Unser Sport-, Mode- und Freizeitmarkt hat sich sehr gut entwickelt. Alles spricht von Casualisation. Die Menschen wollen komfortable Produkte haben und sich informell kleiden. Sportschuhe sind die besten Schuhe für alle Aktivitäten.
Sie sprechen immer von der Puma-Family. Wie können Sie Ihre Mitarbeiter dazu ermutigen, mutiger zu sein?
Ich bin absolut sicher, dass ein Athlet oder ein Mitarbeiter mehr leistet, wenn er sich wohlfühlt. Die Geschäftsleitungen haben also vor allem eine Aufgabe: Ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Menschen wohlfühlen. Natürlich ist die Kultur in China anders als in den USA oder in Deutsch- land. Aber es gibt einige Werte, die überall wichtig sind. Bei uns ist es Transparenz. Man braucht keine Geheimnisse haben, alles soll offen sein. Flache Hierarchien und Spaß. Lachen ist besser als ernst zu sein. Speziell in unserem Sportsektor ist das wichtig. Dann ist es egal, wer du bist, aus welchem Land du kommst, welche Religion du hast. Die Viel- falt unserer Mitarbeiter soll die unserer Kunden widerspiegeln. Es soll erlaubt sein, so zu sein, wie man ist, solange man ehrlich und in eine Richtung arbeitet. Das macht Mitarbeiter besser.
Das haben Sie sicher während Ihrer Zeit als Profifußballer gelernt?
Genau. Die elf Spieler müssen nicht immer die besten Freunde sein, aber 90 Minuten füreinander arbeiten. So ist es auch in einer Firma.
Fällt Ihnen zum Thema Mut noch etwas ein?
Ich bin kein Philosoph, aber ich glaube, dass alle das machen sollen, womit sie sich wohlfühlen. Der Handel ist echt. Es geht um echte Produkte und echte Konsumenten. Es ist kein abstrakter Job, bei dem man nicht weiß, was man eigentlich macht. Haben Sie den Mut, das auch zu genießen. Ich tue es jeden Tag.
Björn Gulden
Björn Gulden, 56, ist seit Juli 2013 Chief Executive Officer (CEO) von Puma.
Zuvor war der gebürtige Norweger CEO des dänischen Schmuckherstellers Pandora, Geschäftsführer bei Europas größtem Schuheinzelhändler Deichmann und Senior Vice President of Apparel and Accessories bei Adidas.
Vor seiner Managementkarriere war Gulden Profifußballer, unter anderem für den 1. FC Nürnberg.