Mut zur Lücke
Die beiden Brüder Andreas und Toni Schneider trennten sich von einem Großteil ihres Sortiments – und machen seitdem mehr Umsatz.
Noch heute gibt es Momente, in denen Andreas „Andi“ Schneider sich kurz unwohl fühlt. Dann nämlich, wenn er Kunden sagen muss: „Nein, bei uns gibt es keine Adidas-Turnhose.“ Doch gleichzeitig weiß er, dass ihn diese Antwort keinen Umsatz kostet – sondern ihm mehr Umsatz bringt. Was nach einem Widerspruch klingt, ist in Wahrheit ein gutes Beispiel dafür, dass der Mut zur Fokussierung zum Erfolg führen kann.
Schneiders Vater hatte im Jahr 1978 eine Autogarage im bayrischen Traunstein in eine Werkstatt und einen Verkaufsraum umfunktioniert. Spezialisiert hatte er sich damals vor allem darauf, gebrauchte Fahrräder aufzubereiten und zu reparie- ren. Schnell entdeckte er jedoch die Leidenschaft für den Handel mit Sportartikeln und erweiterte sein Angebot zum Vollsortimenter „Schneider Rad+Sport“.
Als er im Jahr 2002 stirbt, übernimmt Andi Schneider das Geschäft zusammen mit seinem Bruder Toni. Ob Fußball, Tennis, Schwimmen, Outdoor, Running, Skifahren oder Radsport: Die Kunden finden bei ihnen damals nahezu alles zu jeder gängigen Sportart.
Die Reduzierung der Sortimente
hat sich wie ein Befreiungsschlag
angefühlt
Das ändert sich im Jahr 2014. Im Zuge eines Umbaus überlegen die Brüder: Sie wollen mehr von dem verkaufen, was ihnen selbst Spaß macht. Sportarten hingegen, an denen sie nicht so hängen, streichen sie konsequent aus dem Angebot. Übrig blieben die Themen, denen sich Andi und Toni Schneider auch in ihrer Freizeit leidenschaftlich widmen: Radsport, Outdoor, Wintersport und Running.
Zu dieser Zeit verkauft „Schneider Rad+Sport“ 500 verschiedene Paar Fußballschuhe. Die Verbindung zu den Vereinen ist eng. Auch bei den meisten anderen Sportarten läuft es nicht schlecht. Doch Andi und Toni sind davon überzeugt: Das Risiko, diesen Umsatz zu verlieren, ist es wert. Wie ein „Befreiungsschlag“ habe sich die Reduzierung der Sortimente angefühlt, sagt Toni Schneider.
Hinter diesem eher sportromantischen Vorgehen steckte allerdings auch ein klarer Businessplan. Zusammen mit dem Sport-2000-Berater Martin Bitar überlegten die Brüder, mit wieviel Umsatz pro Quadratmeter und pro Erlebnisbereich zu rechnen sei. Außerdem analysierten sie den Wettbewerb und das Umfeld: Was funktioniert in der Region besonders gut? Und was bieten wir, was andere nicht bieten? Bergsport ist tief in der Region verwurzelt.
Im Sommer läuft der Radsport gut
und alles zum Thema Outdoor.
Im Winter geht es zum Skifahren, für Skitouren und
zum Langlaufen in die Berge.
Alles Sportarten, die die Schneiders selbst auf hohem Niveau beherrschen und lieben. Im Zuge der Analyse fiel ihnen zudem auf, dass sich kein Händler in der Region intensiv mit Running beschäftigt und ein entsprechendes Sortiment anbietet. Andi und Toni beschließen, diese Nische zu besetzen.
Auch die Aufteilung der Geschäftsführung orientiert sich am Werdegang der Brüder. Den Fahrrad-Einkauf machen sie gemeinsam. Der Einkauf wiederum liegt eher bei Andi Schneider, er hat eine kaufmännische Ausbildung und einen Abschluss als Textilfachwirt. Toni ist mit seiner kaufmännischen Ausbildung sowie der Ausbildung zum Zweirad-Mechatroniker komplett für die Rad- Werkstatt verantwortlich.
Von Kopf bis Fuß
In allen Sportarten, die sie nach ihrer Fokussierung anbieten, können sich die Kunden heute wortwörtlich von Kopf bis Fuß eindecken. Schuh, Textil und Hartware nennt die Sportbranche diese Segmente. Zwar haben die Schneiders vorher mehr Sportarten geführt, waren aber nicht in jeder davon mit einer Rundum-Abdeckung ausgestattet. Sie sind also heute weniger breit, aber dafür tiefer im Sortiment aufgestellt. Mit Erfolg: Seit dem Neustart sind die Umsätze kontinuierlich gestiegen. „Wir sind besser in dem, was wir tun“, sagt Andi Schneider, „und können deshalb mehr Umsatz auf der Fläche erwirtschaften.“ Dieser Erfolg basiert allerdings auf vollem Einsatz: Ihr Tag im Geschäft beginnt um 7.30 Uhr und endet gegen 19 Uhr.
Zwar müssen sich die Brüder im Einkauf nun mit weniger Marken beschäftigen, dafür aber umso intensiver mit denen, die sie im Geschäft führen. Als Spezialist müssen sie deutlich mehr wissen als vorher − vor allem mehr als ihre Kunden, die sich durch die Recherche im Internet bereits gut informiert haben. Das gelingt den Schneiders inzwischen ohne Probleme, weil sie sich bewusst ein großes Netz- werk aufgebaut haben. „So verschlafen wir keine Trends“, sagt Andi Schneider.
Die Lieferanten honorieren dieses Engagement. Nicht zuletzt, weil sich das Umsatzvolumen durch die Konzentration pro Lieferant deutlich vergrößert hat. Die Zusammenarbeit sei jetzt intensiver und partnerschaftlicher: „Da bekommen wir auch schon mal etwas mehr Unterstützung, wenn es um Warenrücknahmen oder ein neues Banner für unser Geschäft geht“, sagt Andi Schneider.
Dazu gehört auch die Kooperation mit Partnern vor Ort und in der Region Chiemgau. Nicht selten bekommen sie aus dem Reha-Zentrum oder vom Orthopäden Kunden geschickt, weil sie wissen, dass auch Sportler mit besonderen Bedürfnissen bei Schneiders die richtige Beratung erhalten. „Ohne unsere Spezialisierung würden sie uns nicht empfehlen“, sagt Andi Schneider.
Andi und Toni Schneider zahlen
ihrer Belegschaft ein Gehalt
über dem Branchendurchschnitt
Diese Fokussierung verlangen sie auch von ihrem Personal – was die Suche nach geeigneten Mitarbeitenden nicht gerade erleichtert. Andi und Toni Schneider zahlen ihrer Belegschaft deshalb ein Gehalt über dem Branchendurchschnitt. „Anders kannst du die Leute nicht halten“, sagt Andi Schneider. Und das spricht sich rum. Inzwischen melden sich qualifizierte Kräfte sogar schon von alleine bei ihnen. 17 Mitarbeiter haben sie mittler- weile angestellt, inklusive der Putzkraft und allen Mechanikern.
Kein Grund zur Entspannung
Trotz der Pandemie konnte das Unternehmen 2020 das erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte feiern. Für die Brüder ist das aber kein Grund zur Entspannung. Im Gegenteil: Zum Zeitpunkt des Interviews Mitte März sind die Ladenbauer im Geschäft, um die Laufabteilung komplett neu zu gestalten, inklusive einer Laufanalyse.
Auch im Fahrradgeschäft steht ein Umbau bevor: Das Rennrad-Sortiment wird gestrichen. Dahinter steckt dieses Mal jedoch keine Herzensentscheidung, Rennräder gehörten bei der Geschäftsgründung des Vaters zum Basissortiment. Vielmehr fallen sie nun dem E-Bike-Boom zum Opfer. Ein Spezialist soll eben nicht nur lieben, was er verkauft – sondern auch seine Kunden glücklich machen.
Text: Sandra Hummel
Fotos: Schneider Rad + Sport
Die Brüder haben sich auf Sportarten konzentriert, die sie selber lieben