Wiederaufbau

Die Flutkatastrophe zerstörte das Schuhgeschäft des Ehepaars Lange, aber nicht ihren Optimismus

Bloss nicht aufgeben

Christian Lange musste 50 Tonnen Schutt und Schuhe entsorgen

Die Flutkatastrophe im Ahrtal und Kreis Euskirchen hat im Sommer 2021 zwar das Schuhgeschäft von Christian Lange zerstört, aber nicht seinen Optimismus. Inzwischen hat er den Laden wieder aufbaut – moderner und schöner denn je.

Als Christian Lange dämmert, dass ein Ereignis von historischem Ausmaß heran schäumt, ist es zehn Uhr am Abend des 14. Juli 2021. Schwarzes Wolkenunglück türmt sich am Himmel, da klingelt sein Telefon: Das Wasser auf dem Alten Markt in Euskirchen stehe schon 20 Zentimeter bis zu den Stufen seines Ladens. Lange hat ihn vor der Pandemie frisch renoviert und weitervermietet, er wollte aus seinen beiden Euskirchener Schuhgeschäften eines machen. Doch nun kommt alles anders.

Mit seiner Frau springt Lange ins Auto. Um nach seiner Mutter und dem Innenstadt-Geschäft zu sehen, von dem nach dieser Nacht nichts mehr übrig sein wird außer ein Schaden in Höhe von 1,1 Millionen Euro. Doch bis ins Stadtzentrum kommt Lange gar nicht. Die Ladenstraße, „die war ein Fluss“, sagt Lange. Das Wasser sei gelaufen ohne Ende. Lange muss umkehren. Für die letzten 400 Meter Luftlinie nach Hause braucht er anderthalb Stunden. Seine Mutter kann sich in den vierten Stock ihres Hauses retten. Doch Langes Besitztümer, von der Schuhsohle bis zum Telefonhörer, sein Traditionshaus in fünfter Generation, aufgebaut seit 160 Jahren: alles weggespült.

„Ich wollte den Menschen zeigen,
dass es eine Zeit
nach der Katastrophe gibt.“

Die Flut war und ist für alle um Lange herum ein Grund zum Wüten, Trauern, Wehklagen. Hat auch Lange gemacht. Zu fast 100 Prozent ist die Euskirchener Innenstadt im vergangenen Sommer zerstört worden. Von den 200 Geschäften wurde jedes einzelne ruiniert. Bimssteine, Backsteine, Beton, keine Oberfläche, die nicht unheilgetränkt ist, nicht eine Kellerwand, die sich nicht vollgesogen hat. Doch auf den Schock folgte bei Lange sofort der Wunsch nach Wiederaufbau. „Ich wollte den Menschen zeigen, dass es eine Zeit nach der Katastrophe gibt“, sagt der gebürtige Euskirchener.

Am Tag nach der Flut ist Lange zuerst an seinen Aktenschrank gegangen und hat die Versicherungsunterlagen zusammengesucht. Dann hat er mit 65 Helfern innerhalb von zwölf Stunden 50 Tonnen Schutt und Schuhe weggeschleppt, bis sein kompletter Laden leer war. Als Vorstand des Einzelhandelsverbandes Bonn Rhein-Sieg hatte er Kontakte in die Politik, in die Stadtverwaltung, zu den Medien. Dieses Netzwerk nutzte er nun, um Spenden für jene zu sammeln, die keine Kraft mehr hatten oder jene, die nicht versichert waren. Lange hat für ihren Neuanfang gesorgt und dafür, dass etwa der Schuster am Ort endlich in neue Geräte investiert. War längst fällig. Mut statt Mief. „Man muss immer nach vorne schauen“, sagt Lange.

Großes Denken, große Taten

Bereits während der Pandemie hatte Lange gezeigt, wie großes Denken große Taten vollbringen kann. Statt aufzugeben, perfektionierte er sein Digital-Geschäft. Statt die Kunden laufen zu lassen, hat er sie an der Hinterpforte seines Geschäfts persönlich bedient, hat auch mal Schuhe zum Anprobieren mit nach Hause gegeben. Da es um das Wohl der Kleinsten ging, drückten Polizei und Ordnungsamt „einfach mal ein Auge zu“. So konnte Lange den stationären Umsatz halten und den digitalen um satte 30 Prozent steigern. „Ich bin ein kleiner Visionär“, sagt Lange. Er bleibt es, selbst als das Wasser kommt. Die Flut habe einfach die brutale Beschleunigung eines Niedergangs eingeläutet, der ohnehin gekommen wäre: das Sterben der alten Innenstädte.

„Wir wollen die modernste Ladenstraße Deutschlands werden“, hat Lange deshalb als Parole für sein 55.000-Einwohner-Städtchen ausgegeben. Es scheint fast, als würde es ihm gelingen. Denn jedes Geschäft ist jetzt auf dem neusten Stand. „War ja alles kaputt“, sagt Lange. Im April hat er selbst den Betrieb seines Ladens wieder aufgenommen, bei dessen Anblick sich Shopbetreiber von Kö bis Kudamm erstaunt die Augen reiben dürften.

„Das Ereignis dieser Nacht
hat uns zusammengeschweißt.“

Lange hat in den vergangenen acht Monaten nicht nur hunderte Meter Kommunikationskabel verlegt. Er hat auch ein kassenloses Bezahlsystem eingeführt, seinen Online-Handel über 52 Plattformen hinweg von Amazon bis Zalando aufgebaut, Wickelräume und Wohlfühlecken installiert und dafür gesorgt, dass jeder Kunde, egal ob klein oder groß, immer wiederkommen wird. Es gibt inzwischen sogar eine zwei Meter lange Bar, wo er auch mal Canapés oder Fingerfood rausgeben kann. Wie in einer Großstadt-Galerie.

Doch Größe ist in Euskirchen relativ. Neulich etwa habe sein Einkaufsstraßen-Nachbar angerufen, erzählt Lange, der Kaufhausgigant Kaufhof. Um endlich einmal die Ladenöffnungszeit zu besprechen. Beide Geschäfte schließen jetzt einfach um 18.30 Uhr. Durch die Flut seien viele Diskussionen weggefallen, sagt Lange. Das Ereignis dieser Nacht habe sie zusammengeschweißt, die Kunden und die Händler, die Konkurrenten, die Geschäftsfreunde. Man fühle sich jetzt als eine Gemeinschaft.

Perfekt vorbereitet

Sollten neue Wellen schwappen, ist Lange vorbereitet. Er hat Schiebetüren mit einer Falz eingebaut, kann die Schotten jetzt einfach buchstäblich dicht machen. Es würde dann nass, aber nichts zerstört, sagt Lange. Seinen Laden, seine „Kathedrale“, wie der Architekt sein neues Geschäft genannt hat, könnte er beim nächsten Mal innerhalb von zwei Wochen wiedereröffnen. „Das ist jetzt rund, das Ding, das hat alles irgendwo einen Sinn“, sagt Lange. Er hat nämlich auch acht Lichtkuppeln freigelegt und die von der Flut zerstörte Decke herausgerissen. Das muss man manchmal, sagt Lange. Einfach um zu erkennen: „Boah, ist das schön hier.“

Text: Christine Weißenborn
Fotos: Andreas Wiese

Im April wurde das Geschäft wieder eröffnet