Zwei Schuhhändler, zwei kleine Ortschaften, nur wenige Kilometer voneinander entfernt – das schreit eigentlich nach Konkurrenzkampf. Doch haben sich beide entschieden, lieber zusammenzuarbeiten. Nur, welche Vorteile hat das?
Es sind gerade einmal 15 Minuten mit dem Auto an der Saar entlang, die Marc Thiel und Stephan Holbach voneinander trennen. Während Thiel mit seinem Unternehmen Schuhgarten Nussbaum im malerischen Urlaubsort Saarburg sitzt, hat Holbach sein Schuhhaus im deutlich größeren und von der Industrie geprägten Konz, kurz vor Trier. „Konz, das ist sowas wie das Leben – da muss man durch“, sagt Thiel deshalb gerne über den Nachbarort und grinst dabei. Doch nicht einmal das kleine Lästern des anderen Schuhhändlers kann Holbach wirklich aufregen. „Er hat da schon recht, Saarburg ist in der Region das Schmuckkästchen, Konz ist eher solide“, sagt er.
Die kleine Stichelei, die 15 Kilometer Distanz und das unterschiedliche Alter scheinen ohnehin zu den wenigen Dingen zu gehören, die die beiden voneinander unterschieden. Ansonsten berichten die Schuhhändler jeweils, mit dem anderen voll auf einer Wellenlänge zu sein. Von Konkurrenzkampf untereinander halten sie nichts – obwohl sie ähnliche Kundengruppen bedienen. Im Gegenteil: Thiel und Holbach arbeiten an vielen Punkten sogar zusammen, tauschen unter anderem Ware untereinander aus. Gemeinsam sei man nun mal stärker, finden die beiden.
Thiel, 52 Jahre alt, ist zwischen Schuhkartons aufgewachsen. „Meine langjährigste Verkäuferin hat mich früher schon in den Kindergarten gebracht“, erinnert er sich. Der war damals gerade einmal 500 Meter entfernt. Das Geschäft gehörte noch Thiels Großmutter. Auch später ging er nach der Schule zum Mittagessen ins Geschäft, wo seine Mutter Christel Thiel für die Familie kochte. „Für mich stand schon im fünften Schuljahr fest, dass ich all das hier gerne machen möchte“, sagt er.
Inzwischen steuert Thiel sein Unternehmen überwiegend aus seinem Büro, kümmert sich etwa um die Warenversorgung und schaut, dass auch seine anderen beiden Filialen mit allem versorgt sind. Gerade stellt er die Kollektion für den kommenden Herbst und Winter zusammen. Er trägt einen blau-orangenen Pullover, hat eine braune Brille, die Haare sind nach oben gegelt. An der Wand hängen ein paar Bilder von Damenschuhen. Thiel weiß selbst nicht mehr so genau, wo er die herhat. Teil seiner Kollektion sind die Schuhe mit den hohen Absätzen jedenfalls nicht. Das Büro ist seit zwölf Jahren Thiels Reich, damals übernahm er das Unternehmen von seiner Mutter, die es maßgeblich aufgebaut hatte. Im Verkauf sei er nur noch selten.
Zumindest an diesem Punkt tickt Holbach, 43, ein bisschen anders. „Ich bin noch jeden Tag im Verkauf, ich mag es, auf der Fläche zu sein“, sagt er. Sein Büro trennt daher auch nur ein kleiner Flur mit Lagerregal vom Verkaufsraum. Schuhbilder sucht man bei ihm auch vergebens. Auf dem großen Bild an der Wand ist ein See mit Wald in Kanada zu sehen. Die Baumwipfel sind mit Schnee bedeckt. Holbach (ebenfalls braune Brille) hatte mal überlegt, nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Doch weil er als Schüler schon viel im Laden aushalf, zog es auch ihn in die Welt des Schuhhandels. Zuerst arbeitete er für einen großen Händler in Ulm. Zurück in die Heimat zog es ihn erst 2016. Holbach wollte nun den Schuhhandel seines Vaters übernehmen.
Zusammen mehr Auswahl
Kurze Zeit später begann dann der rege Austausch mit Thiel. „Wir haben uns von Anfang an gut verstanden“, sagt Holbach. Auch beim Humor lägen beide auf einer Wellenlänge. „Einmal im Monat tauschen wir uns inzwischen sicherlich aus.“ So richtig intensiv wurde die Kooperation laut Holbach, als die Corona-Pandemie Deutschland erfasste. Wie lässt sich der Verkauf dennoch organisieren? Wo kommt man am besten an Fördergelder? Da konnten sich beide gut helfen. Ihre Konkurrenz sehen beide eher im großen Trier.
Kunden, die bei ihnen nicht den Schuh bekom- men können, den sie brauchen, könnte es schnell in die Stadt mit den vielen Schuhhändlern und Ketten ziehen. Deshalb tauschen die beiden ihre Waren auch untereinander aus, berichtet Thiel. „Da muss der eine den anderen nur kurz anrufen.“ Er und Holbach wollen den Kunden damit zeigen: Bei uns bekommt Ihr alles.
Auch wenn sie neue Waren bestellen, tauschen die beiden sich vorher aus. „Wir sprechen über unsere Lieferanten, auch über die Preise“, sagt Thiel. Und wenn der eine mehr Schuhe in Größe 42 bestellt, macht der andere das mit den gleichen Schuhen in Größe 36. „Besonders bei den Randgrößen lohnt sich das“, erklärt der Händler. Es klingt fast, als könnten die beiden ihre Geschäfte auch fusionieren. Zur Sprache kam das schonmal – wenngleich auch im Scherz. „Meine Frau und ich waren damals mit dem Fahrrad unterwegs“, erzählt Holbach. Als sie dann zufällig auf Familie Thiel trafen und beide Männer direkt über die Welt der Schuhe fachsimpelten, schlug Thiels Frau vor, dass sie ihre Geschäfte auch zusammenlegen, dann könnten sie sich ständig untereinander austauschen und müssten nicht die Fahrradtour aufhalten. Und nun?
„Wenn dem einen mal etwas Schlimmes passiert, kann ich mir gut vorstellen, dass der andere den Laden mit übernimmt“, meint Thiel. Holbach sieht das auch so. Und selbst wenn jetzt beide ihre Geschäfte zusammenlegen würden, die Arbeitsteilung würde funktionieren: Holbach übernähme den Verkauf und Thiel das Büro.
Text: Jan Schulte
Fotos: Andreas Wiese
Stephan Holbach (links) und Marc Thiel
Gemeinsam zwischen Weinbergen und der Saar