Herr Gebhard, Sie wurden zuletzt von der Zeitschrift CAPITAL als „klimabewusstestes Unternehmen Deutschlands“ ausgezeichnet. Wo hat Ihr Nachhaltigkeitsweg begonnen?
Der Impuls ging 2019 von einem Kongress der European Outdoor Group (EOG) aus. An einer Podiumsdiskussion nahmen Vertreter:innen der Bewegung „Fridays for Future“ teil. Ich habe mir gesagt, wir müssen jetzt einfach mal anfangen.
Und dann sind Sie einfach losmarschiert?
Ich kam hoch motiviert von diesem Kongress zurück und wir haben angefangen, die Scope-1-und Scope-2-Emissionen (siehe Infokasten) zu reduzieren. Die ersten 20 Prozent sind relativ einfach. Spannend wird es, wenn ich mir Scope 3 (siehe Kasten) vornehme, also die Emissionen, die in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette entstehen. Denn wir können als Händler allein nur knapp fünf bis zehn Prozent der Emissionen selbst steuern. Der Rest wird stark von den Produkten, die wir verkaufen, beeinflusst. Wenn ich den Rucksack an Emissionen verringern will, für den ich in irgendeiner Form direkt oder indirekt verantwortlich bin, dann muss ich auch an die restlichen 95 Prozent dran. Da haben wir gemerkt: Das kriegen wir nicht allein hin. Das müssen wir gemeinsam machen.
Gemeinsam mit den Retail-Größen Bergzeit, Internetstores, Sportler und Yonderland haben Sie dann im September 2021 die Klima-Initiative ORCC gegründet. Wie kam es dazu?
Mitten in der Coronapandemie haben wir viel miteinander gesprochen. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass es ein paar große Händler gibt, die eine ähnliche Perspektive auf das Thema Klima haben. Und so haben wir uns zusammengetan.Die Partner der ORCC-Initiative sind allesamt bedeutende Outdoor-Händler und damit auch Wettbewerber.
Inwieweit hat das einen Einfluss auf den Erfolg der Initiative?
Wir sind mit fünf Unternehmen gestartet und repräsentierten ungefähr eine Milliarde Euro Umsatzvolumen. Uns war klar, dass wir nur, wenn wir uns zusammenschließen und das entsprechende Volumen zusammenbekommen, die entsprechende Aufmerksamkeit bekommen. Da ging es nicht um Wettbewerb. Wir tauschen auch Best Practices aus. Für uns ist das ein Thema, bei dem wir alle nur gewinnen können.
Also ist die Umsatzgröße entscheidend für den Erfolg eurer Initiative?
Natürlich überlegt ein Hersteller bei einem relevanten Absatzvolumen auch, ob er seine Produktionsprozesse umstellen kann, um so den Prozess nach vorne zu treiben. Gleichzeitig rechnet sich dann auch sein Business Case.
Welche konkreten Erfolge konnten Sie schon erzielen?
Jeder von uns misst seinen Carbon Footprint basierend auf bestimmten Standards. Dabei berücksichtigen wir auch die Emissionen aus der Handelsware, die wir verkaufen. Basierend darauf muss ich mir Ziele setzen, wie ich diese Emissionen reduziere, und zwar im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen. Unser ORCC Annual Report zeigt, dass alle auf bestem Wege sind. Gleichzeitig werden auch die Limitationen deutlich. Es ist zum Beispiel schwer, Klimabilanzen zu vergleichen. Man hat immer Messunterschiede. Das ist aktuell noch keine exakte Wissenschaft. Allerdings ist es auch nie das Ziel gewesen zu sagen, der eine ist besser als der andere. Alle, die dabei sind, sind verbindlich. Ich kenne keine andere Branche, in der es ein solches Commitment gibt. Insofern ist das ein großer Erfolg.
Scope 1
Umfasst Emissionen aus Quellen, die einer Organisation gehören oder von ihr direkt kontrolliert werden - z. B. aus der Verbrennung von Treibstoff in einer Fahrzeugflotte (wenn diese nicht elektrisch betrieben wird).
Scope 2
Sind Emissionen, die ein Unternehmen indirekt verursacht und die dort entstehen, wo die von ihm gekaufte und genutzte Energie erzeugt wird. In diese Kategorie fallen zum Beispiel die Emissionen, die bei der Erzeugung des Stroms entstehen, der in den Gebäuden verwendet wird, die von dem Unternehmen genutzt werden.
Scope 3
Umfasst Emissionen, die nicht vom Unternehmen selbst erzeugt werden und nicht das Ergebnis von Aktivitäten aus Anlagen sind, die dem Unternehmen gehören oder von ihm kontrolliert werden, sondern von denen, für die es indirekt in seiner Wertschöpfungskette verantwortlich ist.
Bergfreunde-Geschäftsführer Matthias Gebhard
Um die Ziele bei Bergfreunde zu erreichen, setzen Sie auf ganz konkrete Maßnahmen. Welche sind das?
Im Rahmen der Science Based Targets Initiative haben wir uns u. a. dazu verpflichtet, dass sich bis 2026 75 Prozent unserer Lieferanten (gemessen am Einkaufsvolumen) ambitionierte, wissenschaftlich fundierte Klimaschutzziele setzen. Das sind aktuell über 30 Prozent unserer Lieferanten. Unser Ziel ist, jedes Jahr zehn bis fünfzehn Prozent dazu zu bekommen. Dafür gibt es zwei Wege. Entweder indem die Lieferanten sich entsprechende Ziele setzen oder indem ich mein Sortiment anpasse und auf Lieferanten setze, die ebendiesen Weg mitgehen. Immer mehr Lieferanten schauen mittlerweile sehr genau hin und entscheiden bewusst, in welchem Kontext sie mit ihren Produkten wahrgenommen werden. Die Dynamik entsteht also auf beiden Seiten. Und das ist gut so.
Sie haben lange auch Zertifikate gekauft, um Emissionen auszugleichen. Machen Sie das immer noch?
In der alten Welt, in der wir gestartet sind, und das finde ich weiterhin okay, haben wir diesen Ansatz verfolgt. Wir haben Projekte unterstützt, die für eine Reduktion von Emissionen sorgen, zum Beispiel, dass Menschen in Bangladesch in Zukunft mit effizienteren Kochöfen kochen, um den Holzverbrauch zu reduzieren.Dieses Vorgehen konnte ich vermarkten. Dadurch konnte ich in der alten Welt sagen, ich bin „klimaneutral“. Wenn man das Pariser Klimaabkommen allerdings ernst nimmt, und das ist die Verantwortung eines Unternehmens, versucht man, die Emissionen wieder aus der Atmosphäre heraus zu bekommen. Geeignet dafür sind, neben technischen Hilfsmitteln, Wald, Moore oder Humus. Auf Letzteres setzen wir.
Wie sieht das aus?
Wir arbeiten mit Landwirt:innen aus der Region zusammen und finanzieren den Humusaufbau.Das ist zwar teurer, als Zertifikate zu kaufen, aber dafür deutlich näher am realistischen CO2-Ziel. Sicher können wir nicht von heute auf morgen alles in den Boden bekommen, aber wir arbeiten uns Schritt für Schritt nach vorne.
Was tun Sie noch, um Ihre Ziele zu erreichen?
Wir haben ohne drastische Maßnahmen den Gasverbrauch unseres Unternehmens um 20 Prozent an unserem Verwaltungsstandort gesenkt. Wir setzen auf regenerativen Strom und regeneratives Gas und wir haben nur noch E-Autos in unserem Fuhrpark. Durch die Einführung des mobilen Arbeitens haben wir das Pendeln unserer Mitarbeitenden deutlich reduziert. Dadurch haben wir diesen Teil der Emissionen trotz Verdoppelung des Personals reduzieren können. Zudem bieten wir das Job-Rad an und unterstützen die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Sie sind Online-Händler. Da fällt doch bestimmt viel Retoure an. Wie gehen Sie mit den dort anfallenden Emissionen um?
Wir haben den Recyclinganteil in unseren Kartons massiv gesteigert. Zudem schaffen wir es durch technische Unterstützung, die Größe der Kartons so klein wie möglich zu halten Beim Versand bin ich mittelfristig sehr optimistisch, dass eine deutliche Emissionsreduktion erzielt werden kann. Die Versanddienstleister sind ebenfalls sehr daran interessiert. Das ist nur eine Frage der Zeit. Wir haben eine hohe Retourenquote, das ist auch ein Stück weit normal. Wichtig ist, dass wir versuchen, Retouren zu vermeiden. Zum Beispiel indem wir die Beschreibung und die Bilder der Produkte optimieren. Das Gleiche gilt für die Größenangaben. So sorgen wir für bessere Einkaufsentscheidungen. Wir optimieren da viel im unsichtbaren Bereich, so dass die Trefferquote höher wird.
Welche Rolle spielt das Bergfreunde-Team?
Heute ist es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Kriterium bei der Auswahl ihres Arbeitgebers, ob dieser glaubwürdig in eine lebenswerte Zukunft investiert. Ein Drittel bis die Hälfte der Bewerber:innen fragt explizit nach, was wir da tun und wie wir uns positionieren. Ich kann nur spekulieren, wie wichtig es am Ende wirklich ist. Aber wir alle wissen, wir sind eher in einem Bewerbermarkt.
Wie haben Sie es geschafft, den nachhaltigen Weg konsequent weiterzugehen?
Dass wir tatsächlich Kurs gehalten haben, liegt sicherlich daran, dass wir das Thema Nachhaltigkeit strategisch verankert haben. Unsere Mitarbeitenden haben ein sehr feines Näschen dafür, ob wir es ernst meinen oder nicht. Wenn ich meinen Leuten erzähle: „Voll gut, wir haben jetzt nur noch recyceltes Papier im Drucker und sind jetzt nachhaltig“, dann lachen die sich kaputt und es kommt wie ein Boomerang zurück. Kommunikation und Transparenz sind wichtig. Es geht nicht um Perfektion.
Am Ende muss sich aber auch Ihr Geschäft rechnen.
Ich kann nicht sagen, ich höre auf, das Unternehmen wirtschaftlich zu führen und investiere alles in Nachhaltigkeit. Auch das muss ich kommunizieren. Das versteht jeder. Es gilt, beides clever miteinander zu verbinden und sich entsprechende Ziele zu setzen. Unsere Einkäufer zum Beispiel müssen im Sourcing aufzeigen, welcher Impact ihr Handeln auf das Thema Nachhaltigkeit hat.
Was ist Ihr wertvollster Tipp für alle, die sich dem Thema annehmen wollen?
Der einfachste Tipp, den ich geben kann, ist, jetzt einfach anzufangen. Wir haben es genauso gemacht. Wichtig ist, sich Ziele zu setzen. Durchaus ein bisschen höhere. Wenn man sie nicht erreicht, ist es wichtig, ehrlich mit sich zu sein und zu prüfen, woran es gelegen hat. Wer nicht anfängt, kann nichts bewegen. Dazu kommen auch die zunehmenden rechtlichen Anforderungen. Darauf gilt es, sich rechtzeitig einzustellen und vorzubereiten.
Bergfreunde bemüht sich auch bei Logistik und Versand um eine Emissionsreduktion.
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Matthias Gebhard ist seit 2011
bei BERGFREUNDE tätig, seit
2012 als Managing Director.
Bergfreunde hat sich auf Outdoor-Bekleidung und Zubehör spezialisiert.
Matthias Gebhard gilt als Experte für Unternehmensberatung,
Unternehmensstrategie und Marketingstrategie.
Unter anderem war er mehrere Jahre als Senior
Consultant bei Roland Berger tätig.
Interview: Ullrich Lüke
Bilder: Bergfreunde