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CityManager Norbert Schalinsky und Susanne Schmitz,
„Headhunterin neue Ladenkonzepte“,
beide von der Hanau Marketing GmbH, wollen mit ihrem Popup-
Konzept den lokalen Handel stärken.
Kaum Leerstand, ein starker Einzelhandel und ein immer vielfältigeres Angebot: In der Innenstadt von Hanau gelingt gerade etwas, wovon viele Kommunen nur träumen können. Jetzt fehlt eigentlich nur noch ein Schuhhändler.
Es sind gerade mal 75 Quadratmeter, aus denen sich Oliver Lamm und seine 24 Jahre alte Tochter Anna-Luisa ihr kleines Handtaschen-Paradies gemacht haben. Doch es sind 75 Quadratmeter, die es in sich haben. In dem kleinen Fachgeschäft in Hanau mit dem klangvollen Namen „Lederschatulle“ reihen sich Taschen von Liebeskind an Fabrikate von Joop und weiterer namhafter Marken. Ganz besonders stolz sind die beiden, dass sie auch Taschen von Longchamp im Angebot haben und der angenehme Ledergeruch im Laden vertreibt gar den der Dönerbude, die direkt nebenan ist. Die sei zwar manchmal ein bisschen nervig, sagt Oliver Lamm, aber die Nachbarn sind nett und dafür sei die Lage unfassbar gut.
Sie ist tatsächlich ziemlich ideal. Die Lederschatulle liegt mitten in der Innenstadt in einer Fußgängerzone. Direkt nebenan gibt es mit der Coffee Bay eines der angesagtesten Cafés der Stadt. Und wenige Meter weiter findet sich mit dem Forum eine große Shopping-Mall, mit Parkplätzen und einer Bushaltestelle.
Dabei wäre beinahe alles anders gekommen. Denn vor zwei Jahren, da war es beinahe um die Lederschatulle geschehen. „Den Laden gab es schon seit über 65 Jahren und die damaligen Besitzer wollten ihn aus Altersgründen schließen“, schildert der 53-jährige Oliver Lamm, der bis dahin als Großhändler den Laden mit Waren belieferte. Doch das traditionsreiche Fachgeschäft einfach so schließen sehen? Das konnte Lamm nicht zulassen und weil Tochter Anna-Luisa gerade ihre Ausbildung als Einzelhandelskauffrau abgeschlossen hatte, schlugen die beiden zu. Ein bisschen renovieren, das Personal behalten und fertig war die neue alte Lederschatulle. Heute ist Anna die Geschäftsführerin und Vater Oliver ist mit einem Freund zusammen eher wie der Investor und Berater, der aber ansonsten seine eigenen Geschäfte weiterverfolgt. „Das war schon eine Wucht, direkt so einzusteigen“, erinnert sich Anna-Luisa. Zumal die beiden Hanau bis dahin nur vom Wochenmarkt kannten, zu dem sie regelmäßig vom Nachbarort aus mit dem Fahrrad fuhren.
Doch Hanau und die Lamms, das passt ganz offenbar. „Hier ist einfach ständig was los, es gibt einen sehr guten Austausch zwischen den Einzelhändlern und auch die Stadt selbst ist sehr engagiert“, sagt Oliver Lamm. Daran könnten sich viele andere Städte ein Beispiel nehmen, meint er.Und Lamm muss wissen, wovon er spricht, ist er doch ständig in Deutschland unterwegs und mit Einzelhändlern im Austausch. Das mit Hanau und den Lamms passte sogar so gut, dass sie weniger als ein Jahr später mit dem „Kofferraum“ direkt den nächsten Laden eröffneten. Es sind nur wenige Meter, die beide Geschäfte voneinander trennen. Das Personal wechselt manchmal zwischen beiden hin und her, je nachdem, wo gerade mehr los ist. Eine lebhafte Stadt, Geschäfte in bester Lage und viel Einzelhandel – es sind Beschreibungen, die viele Kommunen gerne über sich hören würden. Allein, oft gelingt das nicht. Bis zu 15 Prozent der Innenstädte stehen heutzutage leer. Das liegt unter anderem an den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, doch auch vorher war es um viele Innenstädte nicht gut bestellt. Der Einzelhandel muss vielerorts um seine Kunden kämpfen, er ringt mit dem Onlinegeschäft und mit Billig-Ketten. Außer in Hanau. Da ist vieles anders. Wie schafft die 100.000-Einwohner-Stadt bei Frankfurt das?
Pop-up-Konzept konsequent gedacht
Wer das verstehen möchte, der muss sich mit Norbert Schalinsky und Susanne Schmitz unterhalten. Schmitz ist „Headhunterin neue Ladenkonzepte“, Schalinksy „schimpft sich City Manager“, wie er es ausdrückt. Sie beide sind angestellt in der Hanau Marketing GmbH und haben vor allem eine Aufgabe: Die Innenstadt attraktiv für den Einzelhandel machen. „Hanau aufLADEN“ heißt das Stadtentwicklungsprogramm, bei dem die Hanau Marketing GmbH für die Stadt Hanau die Regie führt. Wo am besten anfangen?
Schalinsky und Schmitz laden in das Café Little Finland zu Zimtschnecken und Tee. Das Café liegt an einer ruhigen Seitenstraße am anderen Ende der Innenstadt, vielleicht fünf bis zehn Minuten von Lamms Lederschatulle entfernt.Das Einzige, was ein wenig nervt, sind die Flugzeuge, die im Minutentakt über die Dächer hinwegrauschen. Der Frankfurter Flughafen, einer der größten Europas, ist nah“. Draußen stehen nur wenige Tische, im Innenraum sind es mehr. Neben Gebäck und Getränken gibt es auch allerlei finnische Produkte zu kaufen. Finnische Produkte in Hanau? „Wir waren selbst überrascht, aber es gibt gut 7000 Finnen, die im Umland leben“, sagt City-Manager Schalinsky.
Little Finland ist einer dieser Läden, der durch die Kampagne entstanden ist. Die Stadt Hanau mietet dazu leerstehende Immobilien an und vermietet diese im Anschluss unter. „Wir suchen nach Konzepten, die frisch sind“, beschreibt es Schmitz. Drei Monate lang können sich so Unternehmer ausprobieren, in der Zeit zahlen sie nur zehn Prozent ihres Umsatzes als Miete. Im Anschluss können sie diese Phase nochmal um drei Monate verlängern. In der Zeit zahlen sie wieder nur zehn Prozent des Umsatzes, aber mindestens die Hälfte der normalen Miete. Hinzu kommen jeweils die Nebenkosten. Pop-up-Stores heißt das alles. Die Erfinder dieses Konzepts sind sie in Hanau nicht. Doch ist die Stadt mit all dem deutlich konsequenter als viele andere Kommunen.
„In vielen Städten geht sowas nur über einen Monat“, sagt Schmitz. Außerdem hilft sie in der Phase gemeinsam mit Schalinsky den neuen Einzelhändlern, wo sie nur kann. Die dekorativen Birkenstämme im Little Finnland kommen zum Beispiel von Galeria Kaufhof um die Ecke und direkt gegenüber vom Café haben sich eine junge Unternehmerin und ein Unternehmer zusammengetan und zwei Läden in einem Raum eröffnet. Während die eine mit ihrem Geschäft „Boho“ Upcycling-Produkte herstellt und verkauft, darunter etwa T-Shirts, stellt der andere mit „Blomskol“ Waren mit einem 3D-Drucker her. Vor allem Blumenvasen sind aktuell im Sortiment. Auf der linken Seite stehen die Waren von Blomskol, auf der rechten Seite die von Boho. Im Hinterzimmer wird gearbeitet. Nervt es nicht, sich mit einem anderen Händler einen Geschäftsraum zu teilen?
„Überhaupt nicht“, sagt Boho-Gründerin Meltem Albayrak. Im Gegenteil, zukünftig überlegen die beiden jungen Unternehmer, ihr Sortiment in den Regalen gar zu mischen. „Komplizenschaft“ nennt Schmitz die Mentalität und den Austausch zwischen den Händlern, den sie in Hanau aktiv fördern.
Schmitz und Schalinsky suchen unterschiedlichste Konzepte, wenn sie ein Pop-up-Geschäft fördern wollen. „Es kann zum einen ein Konzept sein von jemandem, der sich noch nicht stationär ausprobiert hat“, erzählt Schmitz. „In dem Fall muss er richtig motiviert sein und einen stimmigen Business Plan haben.“ Als zweites seien Händler möglich, die bisher online erfolgreich waren und sich stationär ausprobieren wollten. „Als drittes suchen wir nach Händlern, die in einem anderen Ort schon erfolgreich sind und in Hanau ebenfalls einen Laden eröffnen wollen.“ Dass sich nicht jeder ausprobieren kann, hat einen einfachen Grund: Die Stadt Hanau geht jedes Mal ins Risiko, wenn sie einen Pop-up-Laden fördert. Seit gut einem Jahr funktioniert diese Herangehensweise laut Schmitz richtig gut. Kein einziges so gefördertes Geschäft habe in der Pop-up-Phase aufgegeben. Viele haben die Zeit, in der sie von der Stadt finanziell unterstützt werden, auch schon hinter sich. Eine 100-Prozent-Erfolgsquote haben die beiden aber seit dem Start ihrer Idee nicht. Sieben von zwölf Pop-up-Konzepten sind inzwischen dauerhaft in der Hanauer Innenstadt zuhause.
(Eine) Chance für Schuhhändler
Schmitz und Schalinksy sind keine Verwaltungsmitarbeiter, die alles aus ihrem Büro heraus lösen. Eigentlich sind sie ständig vor Ort. Wer mit ihnen durch die Innenstadt läuft und es eilig hat, der kommt nicht weit. Ständig wird sich gegrüßt. Die beiden führen auch regelmäßig Händler durch die Straßen, die überlegen, ebenfalls einen Laden zu eröffnen. Vor einem aktuell leerstehenden Geschäft machen sie halt. „Hier hätten wir am liebsten einen Schuhhändler“, sagt Schmitz. Denn Angebote in diesem Segment gibt es nach ihrer Auffassung in der Hanauer Innenstadt zu wenig. Es ist ein Grund, warum sich Schalinsky und Schmitz auch mit Maximilian Krien von der ANWR austauschen. „Wir finden die Vorgehensweise der Stadt sehr spannend“, erzählt er, der sich auch schon einmal hat hindurchführen lassen. „Hanau ist eigentlich eine super Gelegenheit, um neue Konzepte zu testen.“ Jetzt müsste sich nur noch ein Schuhhändler finden.
Doch alles rund läuft natürlich auch in Hanau nicht. Direkt neben dem Marktplatz steht wohl die größte Herausforderung für die Stadtentwicklung. Der Galeria Kaufhof macht zum 31. Januar 2024 dicht. Irgendwann galt der mehrere Stockwerke hohe Kasten mit seinen 16.000 Quadratmetern sicherlich mal als schön, heute wirkt er eher klumpig – die Stadt Hanau wird das Gebäude kaufen. Nach einer Renovierung, so lautet eine Idee, könnten sich dort auch viele Einzelhändler niederlassen.
Die Lamms beobachten diese Pläne bereits genau. „Wir haben auch schon mal mit dem Gedanken gespielt, dort dann einen Laden aufzumachen, in dem wir unser Sortiment bündeln können“, erzählt Oliver Lamm. Es wäre ein langfristiges Ziel, bis es mit der Sanierung so weit ist und die Konzepte stehen, dürften noch einige Jahre ins Land gehen. Aber optimistisch sind sie in Hanau auf jeden Fall.
Text: Jan Schulte