Der gestiefelte Rabatt

Moritz Krellmann macht mit seiner Idee „Stiefelgold“ das Thema Nachhaltigkeit für die Kunden spürbar.

Mehr als acht Jahre ist es her, dass Moritz Krellmann eine Idee hatte, die für ihn alles verändern sollte. Er saß gerade mit einem Kumpel zusammen und dachte darüber nach, wie er die eher verkaufsschwachen Monate am Anfang des Jahres überbrücken sollte.

Da kam ihm der Einfall, der ihn heute weit über das hessische Michelstadt hinaus bekannt machen sollte. Krellmann war davon so überzeugt, dass er kurzerhand eine Anzeige in der Lokalzeitung schaltete: „30 Euro für Ihre Alten“ prangte dort als Überschrift. Dazu die Erklärung: Kunden bekommen bei „Odenwald Outdoor“ eine Gutschrift von 30 Euro auf ihre neuen Schuhe, wenn sie zugleich ihre alten Wanderschuhe abgeben. Zustand: egal.

Von der Reaktion, die dann folgte, war der 46-jährige Krellmann völlig überwältigt. Statt ein paar einzelner Kunden standen am nächsten Tag dutzende Menschen vor seinem Geschäft. Es bildete sich eine lange Schlange, die meisten Menschen hatten tütenweise Schuhe im Gepäck und wollten ihre Gutschrift einlösen. Andere waren sich nicht sicher, ob es sich nicht um einen Scherz handelte und ließen ihre Schuhe erst einmal im Kofferraum. „Die Leute haben das anfangs gar nicht glauben können“, sagt Krellmann. Doch nach einem kurzen Gespräch mit ihm oder seinem Team waren die Menschen überzeugt – und brachten Schuhpaar um Schuhpaar in das heute 300 Quadratmeter große Outdoorgeschäft in Michelstadt.

Gesammelt wurden diese in großen Boxen und Paletten, die so ungewöhnlich aussahen, dass sie wiederum neue Kunden in den Laden lockten. „Wir wussten gar nicht mehr, wohin mit den Sachen“, sagt Krellmann.

Christian Fleck, Leiter der Schuhaufbereitung (links), gemeinsam mit Geschäftsführer Moritz Krellmann

In der Stiefelgold-Werkstatt: Aus alt mach neu

Acht Jahre später ist das Konzept noch immer ein voller Erfolg. Aus einer einmaligen Aktion wurde ein dauerhaftes Angebot, seit 2021 hat Krellmann das Angebot sogar ins Internet gebracht. Über die Webseite „Stiefelgold.de“ können die Menschen ihre alten Wanderschuhe einschicken und bekommen den 30-Euro-Gutschein dann für den Online-Einkauf gutgeschrieben. Bei drei von zehn verkauften Schuhen geben die Kunden vorher ein altes Paar zurück. Aus einer Werbeaktion ist ein Geschäftsmodell geworden, das auch die Kunden des SPORT-2000-Händlers begeistert, darunter viele Jäger, Förster, Angler, Hundefreunde und Wanderer.

Die freuen sich natürlich über den Rabatt, der gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer wichtiger wird. Kosteten Outdoorschuhe früher vielleicht 150 oder 160 Euro, sind es heute gern einmal 250 Euro und mehr. „Da macht ein Rabatt schon einen Unterschied“, sagt Krellmann.

Das Angebot fördert die Kundenbindung Der weitaus gewichtigere Aspekt der Aktion ist aber ein anderer: Die Menschen sind glücklich darüber, dass ihre alten Schuhe, die oft auch einen emotionalen Wert haben, nicht einfach auf dem Müll landen. „Was ich total unterschätzt habe, ist, wie gut wir dank der Rückgabe mit den Menschen ins Gespräch kommen“, sagt Krellmann. „Viele berichten davon, wo der Schuh schon überall war, in den Alpen, im Himalaya oder ganz woanders“, erklärt der Geschäftsführer: „Einige verabschieden sich sogar richtig, bevor der Schuh auf den Stapel kommt“. An die Erzählungen der Kunden können die Berater dann direkt anknüpfen: Wer mit dem alten Schuh viel in den Bergen war, der wird auch beim neuen Paar darauf achten, dass diese fürs Gebirge taugen. „Die Leute reden über ihre Schuhe und genau das wollen wir ja erreichen“, sagt Krellmann.

Das Großartige an Krellmanns Konzept: Er sammelt die Schuhe nicht nur ein und entsorgt sie dann, sondern nutzt die Schuhe oder Materialien erneut. Nachdem die erste Aktion ein voller Erfolg war, ging er mit lokalen Elastomerproduzenten in den Austausch. Diese waren sehr interessiert an den hochwertigen Gummisohlen der Schuhe, die Krellmann seither ablöst und an die Firmen in der Region liefert. Dort werden sie granuliert und in die hochwertigen Produkte der gummi- und kautschuckverarbeitenden Industrie integriert. Langfristig würde er auch gern das Leder benutzen, sagt Krellmann: „Das ist aber deutlich komplizierter, weil sich die Stoffe nicht so gut voneinander lösen lassen wie die Gummisohle vom Rest des Schuhs“, sagt er.

Was analog gut klappte, brachte Krellmann dann im Jahr 2021 auch ins Internet. Seither kommen jeden Monat dutzende Pakete mit alten Schuhen im Geschäft an. 2022 erweiterte er das Stiefelgold-Konzept erneut und bietet seither auch wiederaufbereitete Schuhe im Geschäft an. Dafür kaufte er extra eine „Schuhaufbereitunsgmaschine“ und stellte einen eigenen Mitarbeiter ein. Dieser bereitet die Schuhe auf, reinigt sie und dann gehen sie in den Verkauf. Angeboten werden die Paare dort deutlich günstiger als die Originalschuhe. Statt 300 Euro oder mehr kosten die gebrauchten Stiefel oft nur 150 bis 200 Euro. Doch den Ausschlag für den Kauf eines gebrauchten Schuhs gibt hier selten der Preis. Vielmehr sind die Menschen davon begeistert, welche Idee dahintersteckt. „Die meisten sagen sowas wie: ‚Ach das ist ja abgefahren, nachhaltiger geht es ja gar nicht mehr‘ und haben beim Kauf das Gefühl, etwas Gutes zu tun“, sagt Krellmann. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, hilft die Beratung vor Ort. Odenwald Outdoor verkauft die gebrauchten Stiefel aber auch über Second-Hand-Portale wie Kleinanzeigen.

Der Erfolg gibt ihm Recht, immer mehr Menschen verlangen schon jetzt „Refurbished“-Schuhe, erzählt Krellmann. Zwar bekommen sie über die Rückgabe-Aktion jeden Tag einen Haufen Schuhe in den Laden, doch eignen sich davon nur rund zehn Prozent zur Wiederaufbereitung, der Rest geht in die Gummiverwertung. Um die große Nachfrage dennoch zu bewältigen, hat Krellmann angefangen, gebrauchte Schuhe in Onlineportalen zu kaufen.

„Die Leute wollen einfach gern nachhaltig einkaufen.Das habe ich anfangs unterschätzt“, sagt er, und ergänzt: „Da ein Angebot zu haben, das kann einen großen Unterschied für die Händler machen.“

Text: Nils Wischmeyer
Bilder: privat