Frau Finkelnburg, Händler hören heute häufig, dass sie eine Marke mit eigener Story sein sollen. Warum ist das aus Ihrer Sicht wichtig?
Viele Einzelhändler sind in den vergangenen Jahren unter Druck geraten. Das liegt daran, dass sich die Konsumgewohnheiten der Menschen verändert haben. Anders als früher sind sie nicht mehr auf den Schuh- oder Sporthändler angewiesen. Der Konsum hat sich entkommerzialisiert. Die Menschen suchen im stationären Einzelhandel heute nach Erlebnissen, die ihnen Anlässe geben und Erinnerungen schaffen, die sie berühren.
Wie meinen Sie das?
Die Leute haben heute unendlich viele Einkaufsmöglichkeiten, vom großen Retailer bis zum Online-Shopping. Sie kriegen fast überall das gleiche Produkt. Um hier eine Abgrenzung zu schaffen, braucht es weit mehr als ein vergleichbares Produkt. Wenn ich beispielsweise der Einladung einer Boutique für einen Girlsabend folge und glücklich nach Hause gehe, dann hatte ich einen schönen Abend. Bestenfalls gab es eine Fotobox und ich nehme das Bild mit nach Hause, dann bleibt mir das in Erinnerung. Und ich habe ein gutes Bauchgefühl in Verbindung mit dieser Boutique. Deshalb gehe ich da wieder hin und kaufe vermutlich auch mal ein. Ähnlich ist es bei meinem Bäcker um die Ecke: Der hängt jede Woche ein Rezept für ein Brot ins Schaufenster. Das ist authentisch, erzählt eine gute Geschichte über Handwerkskunst und macht ihn mir viel nahbarer, weil er mich inspiriert. Das macht ihn besonders.
Klingt gut. Wie finde ich nun eine Story, die mich und mein Geschäft besonders macht?
Jeder Händler kann sich heute überlegen: Warum existiere ich, wie zeige ich mich, wer bin ich eigentlich in den Köpfen meiner Kunden? Daraus lässt sich möglicherweise eine Story spinnen. Um die zu finden, lohnt es sich, nach Feierabend seine Werte, Haltung und vielleicht auch Hobbies aufzuschreiben. In der Markenberatung wird die Marke, das Produkt gerne personifiziert. Daraus leiten sich viele Eigenschaften ab, die für die weitere Positionierung und Kommunikation genutzt werden kann. Vielleicht fährt einer gern Ski, ein anderer ist lustig. Viele denken dann, dass das keinen interessiert, aber das stimmt nicht. Händler unterschätzen häufig, wie spannend und relevant sie auch als Mensch sind. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen. Und wer seine eigene nicht kennt, kann Freunde oder Kunden fragen. Die allermeisten werden so etwas hören wie: „Wir kommen immer gern vorbei, weil die Beratung toll ist” oder „Wir lieben deine Wandertipps.” Daraus lässt sich doch eine wunderbare Geschichte erzählen, die noch dazu authentisch ist.
Große Firmen haben Influencer und Marketingabteilungen, kleine Händler nicht. Wie sollen die ihre Geschichte erzählen?
Es braucht kein großes Team, um bei Social Media erfolgreich zu sein. Schauen Sie sich die Süßigkeitenmarke Hitschies an. Den ganzen Kanal macht der Gründer mit einer weiteren Dame zusammen und die haben über 100.000 Follower. Warum? Sie sind authentisch, lustig und die Videos sind leicht und schnell produziert. Jeder Händler, der sich das vorstellen kann, sollte das machen und dort seine Geschichte erzählen. Und wem das nicht liegt, der sollte jemanden dafür anstellen oder im Mitarbeiterkreis fragen. Oftmals ist man überrascht, dass die eigene Auszubildende total Spaß daran hat. Social Media ist kostenlos, da lässt sich viel ausprobieren.
Social Media ist nur ein Kanal. Wie bringe ich die Geschichte in den Laden?
Sie können sich natürlich eine Agentur wie unsere nehmen (lacht). Oder man überlegt sich selbst etwas. Nehmen wir einen begeisterten Skifahrer, der weiß, dass seine Kunden dies an ihm schätzen. Um mehr Zugehörigkeit aufzubauen, kann er abends Vorträge in seinem Laden halten und sagen: Hallo, ich bin tephan und ich bin euer Experte fürs Skifahren. Man kann dann auch gemeinsame Reisen organisieren oder Skiorte empfehlen. So etwas schätzen die Leute genauso wie Events.
Wie passen denn Events zur Story?
Händler müssen heute Gastgeber sein und das Ladengeschäft zu einem dritten Ort machen, zu dem die Kunden kommen, weil er authentisch ist und mehr als nur auf den Konsum ausgelegt ist. Ich kenne viele Händler, die Künstlerkooperationen oder Vernissagen haben, die nach Ladenschluss die Menschen in den Store einladen. Man kann auch weitergehen und einen Partnerangebot machen, wenn es zur Marke passt. Warum nicht mal einen Keramik-Kurs anbieten, wenn es der Platz hergibt und DIY-Aktionen zu den Kunden passen? Das erreicht eine größere Zielgruppe.
Auch tagsüber sollen die Kunden kommen. Was hilft da?
Wer ein Schaufenster hat, sollte das auch nutzen und pflegen. Viele unterschätzen die Kraft und Wirkung ihrer Fenster. Ich habe einen Metzger um die Ecke, der jeden Monat seinen Schaukasten neu kuratiert. Das kostet ein wenig Zeit und ein bisschen Bastelpapier. Aber es zeigt Interesse und viel Wertschätzung. Ich bleibe jedes Mal stehen (auch wenn ich Vegetarierin bin) und es freut mich, wie liebevoll sich hier um den Kunden gekümmert wird.
Was ist Ihr ultimativer Tipp für alle, die jetzt anfangen wollen?
Denken Sie an die großen Marken wie Nike, Adidas oder auch die bekannten Department-Stores. Breuninger ist eine tolle Inspiration. Was machen die, was Sie begeistert? Natürlich haben die viele Mitarbeiter und ein viel höheres Budget. Aber Ideen lassen sich runterbrechen und im Kleinen anwenden. Und wenn einen davon nichts inspiriert, einfach mal den Händler in der Nachbarschaft oder im Netzwerk fragen. mal am Wochenende zusammensetzen und überlegen: Was können wir bei uns verändern, um die Frequenz in unserem Umfeld zu erhöhen? Wenn Sie dann gemeinsam zeigen, dass Sie eine lebendige Gemeinschaft von leidenschaftlichen Händlern sind, die sich insetzen, ist das schon: eine gute Story.
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Meike Finkelnburg,46, ist Managing Director und visionärer Kopf bei
der Stuttgarter Marken- und Retail-Agentur Designplus.
Mit Menschen, Marken und Produkten in Beziehung
zu treten, treibt sie an.
Interview: Nils Wischmeyer
Fotos: ILM (Interview), DESIGNPLUS