Kooperieren statt Krepieren!

Wie kleine Händler zusammen gegen große Konzerne bestehen. Und das mit Daten zu tun hat.

Von Frank Schuffelen,
CEO der ANWR GROUP

Gegen große multinationale Konzerne können kleine Unternehmen alleine nicht bestehen. Deshalb sollten Konkurrenten zusammenarbeiten. Doch gelingt das oft nicht. Wie können wir es besser machen?

Kooperationen sind wie Brücken, die uns auf dem Weg zu neuen Ufern tragen und uns auch ermöglichen, Altes hinter uns zu lassen. Diese Brücken symbolisieren das verbindende Element zwischen den Kooperationspartnern, die gemeinsam neue Horizonte erkunden und innovative Lösungen entwickeln.

Durch die Zusammenarbeit schaffen sie stabile Verbindungen, die nicht nur Hindernisse überwinden, sondern auch den Weg für nachhaltigen Erfolg ebnen. In einer Welt, die ständig im Wandel ist, sind Kooperationen der Schlüssel, um gemeinsam stark und zukunftsorientiert voranzuschreiten. Der frühere ANWR Chef und große Vordenker Dr. Georg C. Neumann sagte, für Händler gelte zukünftig das Prinzip: „Kooperieren oder krepieren.“ Eine sicherlich drastische Formulierung, im Kern aber wahr und weitsichtig.

Den gemeinsamen Gegner haben in den vergangenen Jahren viele Wirtschaftszweige erlebt. Große Tech-Firmen drängen auf immer neue Felder und drohen, den angestammten Firmen die Luft abzuschnüren. Wir im Handel erleben das wie sonst kaum jemand. Amazon und Co. locken unsere Kunden mit vermeintlich mehr Komfort und mehr Angebotsvielfalt aus den Innenstädten vor die heimischen Endgeräte. Die E-Commerce-Firmen haben gezeigt, welche Macht das Internet als Kanal hat und wie man diese effektiv nutzt. Bestehen kann der Handel nur gemeinsam, dazu braucht es Kooperationen. Natürlich haben alle Händler sehr eigene Interessen. Der Multifilialist mit einem Fokus auf Fußgängerzonen in Großstädten unterscheidet sich fundamental von dem Sportfachgeschäft in der Kleinstadt. Aber von gewissen Arten der Zusammenarbeit können doch alle profitieren.

Gerade heutzutage sind Daten im Einzelhandel so entscheidend wie selten zuvor. Aus ihnen lässt sich lesen, welche Modelle und Marken gut laufen, wann Kunden gerne einkaufen, welche Werbeaktionen funktionieren und welche nicht. Jeder Händler für sich genommen hat aber nur kleine Datenmengen, aus denen sich nicht wirklich viel entnehmen lässt. Es braucht also eine kritische Masse, um mit genügend Daten sinnvolle Erkenntnisse zu gewinnen.

Ähnlich sieht es beim Sortiment aus. Denn auch hier besteht natürlich gegenüber den großen Online-Händlern und Filialisten ein Nachteil, den ein einzelner Händler nicht ausgleichen kann.Klar aber ist: Wenn ein Kunde aus dem Geschäft geht, ohne etwas gekauft oder zumindest etwas bestellt zu haben, ist er verloren. Dann geht er nach Hause und shoppt online. Wie toll wäre es da, wenn man auf einen großen Warenbestand zurückgreifen könnte, den sich tausende Händler teilen und der durch die Anbindung der Lagerbestände der Hersteller wie eine Art verbundene Ladentheke funktionieren würde. Wir wissen aus Erfahrung, dass sich solche Allianzen nicht ohne Weiteres schmieden lassen. Aber am Ende geht es darum, dass den Konsumenten ein attraktiver Bestand an Artikeln zur Verfügung steht. Damit wäre der stationäre Handel mit Unterstützung der Industrie und der Lieferanten der Problemlöser oder der Möglichmacher für viele Kunden, die im Geschäft nicht den passenden Schuh finden. Wäre das nicht ein einzigartiger USP für den Fachhandel? Wenn ich zu diesen Themen referiere, sind immer schnell alle dafür. Aber wenn es dann um die praktische Umsetzung geht, kriegen doch viele kalte Füße.

„Einige für einen“ statt „alle für einen“

Was also tun? Mit der Pistole auf der Brust überzeugen wir niemanden, unserer Koalition beizutreten.Also müssen wir erstmal mit den Leuten arbeiten, die Lust haben. Das sind dann bei weitem nicht alle, aber es ist ein Nukleus. Der Vorteil: Wenn wir erstmal mit wenigen Teilnehmern anfangen, können wir unsere Ideen auch schneller umsetzen. Wir starten vielleicht mit 50 Händlern, die zum Beispiel ein gemeinsames Datenmanagementsystem mit Analysetools nutzen wollen. Und mit der Zeit werden sich immer mehr anschließen, bald sind es 100, dann vielleicht 500, und im Idealfall sind irgendwann alle an Bord. In unserem Fall heißt das, wir sammeln die Daten der Händler ein, bereiten diese auf und reichern sie gegebenenfalls an. Im Anschluss stellen wir sie den Händlern anonymisiert auf unserer gemeinsamen Plattform, dem HandelsCockpit, zur Verfügung. So schaffen wir Mehrwerte aus dem Pool der Gemeinschaft. Darüber hinaus sind wir in der Lage, aus dem Datenpool unserer Händler Mehrwerte für unsere Lieferanten zu erzielen. Sie bekommen zum Beispiel einen überregionalen Überblick über die Abverkäufe ihrer Produkte und können so Erkenntnisse für ihre zukünftige Sortimentsgestaltung ziehen. Das nutzt dann auch wieder dem Handel.

Gute Ansätze für eine Kooperation bieten auch Projekte, bei denen man nicht im Wettbewerb zueinandersteht. Für uns war das zum Beispiel unsere hauseigene Lernplattform Wissenswelt, die wir zum 1. August 2024 gemeinsam mit SABU Schuh & Marketing GmbH gelauncht haben.

Alle Händler haben Probleme, gut geschultes Personal zu finden. Also wird die berufsbegleitende Aus- und Weiterbildung immer wichtiger. Hier Know-how zu bündeln, lag auf der Hand. Alle haben den Bedarf, niemand gibt die Hoheit über irgendetwas ab, wenn er sich beteiligt. Eine weitere kooperative Lösung, die sich gerade im Einführungs-prozess befindet, ist unser neues Jobportal easy@jobs. Hier kooperieren unsere eigenen Verbundgruppen, um sämtliche angeschlossenen Händler bei der Suche nach neuen Mitarbeitenden zu unterstützen.

Es sind solche erfolgreiche Use Cases, die auch Skeptiker überzeugen. Denn wenn eine kleine Gruppe etwas erfolgreich erprobt hat, wird der Nutzen für andere plötzlich deutlich greifbarer als zuvor. Damit kooperative Projekte funktionieren, müssen sie von vornherein um ein tatsächliches Bedürfnis der Händler herumgebaut werden. Das mag trivial klingen, aber viele Kooperationen scheitern daran, dass sie sich nicht am Kunden orientieren. Das Problem: Ideen klingen manchmal auf dem Papier super und in der Zentrale sind alle begeistert. Dann geht man nach draußen zu denen, die es nutzen sollen, und stellt fest, dass die es gar nicht oder in einem anderen Zuschnitt brauchen. Es ist ein Fehler, den auch wir bei der ANWR GROUP schon gemacht haben. Wenn man den Prozess aber richtig aufsetzt und die motivierten Menschen von Beginn an miteinander verbindet, führt es dazu, dass Innovationskraft freigesetzt wird. In der Praxis bedeutet das, in wechselnder Zusammensetzung und unter Einbeziehung der Kunden über mögliche Lösungen zu sprechen. Ansonsten gerät man schnell in einen Trott, in dem immer wieder dieselben Perspektiven und Konflikte ausgespielt werden.

Ob das auf Konferenzen, in Arbeitsgruppen oder Workshops passiert, ist dabei erstmal egal. Wichtig ist nur, dass der Innovationsprozess nicht stagniert. schuhe.de, unsere Online-Plattform, ist ein solches Beispiel für gelungene Ideen- und Lösungsfindung. Sie entstand im Jahr 2013 zur ersten Hochphase von Zalando, als unsere Händler feststellten, dass sie gegen die große Werbekampagne („Schrei vor Glück“) weitestgehend machtlos waren und kaum sichtbar im Wettbewerb. Dem sind wir dann mit schuhe.de begegnet. Wir haben unseren Händlern über die gemeinsam nutzbare Plattform zunächst einmal digitale Sichtbarkeit verschafft. In einem nächsten Schritt ging es dann darum, sie omnichannelfähig zu machen. So können sie heute, ergänzend zu ihrem stationären Geschäft, auch am Onlinehandel partizipieren. Wir haben also das Know-how des stationären Schuhhandels mit einer zukunftsfähigen Technik verknüpft.

Kooperation als Werkzeugkasten

Eine gute Zusammenarbeit in der Wirtschaft, gerade zwischen Firmen, die zu einem gewissen Grad weiterhin im Wettbewerb stehen, kommt ohne Zwang aus. Jeder sollte so viel Kooperation wahrnehmen, wie er möchte. Man kann sich eine solche Struktur als Werkzeugkasten vorstellen, der zur Verfügung steht. Aber nicht jeder muss jedes Werkzeug nutzen. Größere Firmen in solchen Zusammenschlüssen machen zum Beispiel vieles oft selbst, bauen etwa eine eigene technische Infrastruktur auf. Gerade kleinere Unternehmen docken aber gerne eng an und nutzen den Werkzeugkasten in seiner ganzen Bandbreite. Dadurch kann es gelingen, viele an Bord zu bringen und zu halten. Auch neue Partner werden nicht abgeschreckt, weil sie direkt alle etablierten Prozesse aufgeben müssen. Der Beitritt zu einem Verbund sollte sich nie wie eine Übernahme anfühlen.

Kooperationen sollten auch Raum für weitere Zusammenschlüsse geben. Denn auch im Kleinen können sie große Kraft entfalten. Beispiele von Händlern, die sich zusammenschließen, um Innenstädte wiederzubeleben, gibt es genug. Solche Vorhaben gelingen am besten, wenn sie lokal gehalten werden. Denn die Bedürfnisse eines jeden Standorts sind sehr individuell. Aber auch zentral entwickelte Lösungen, wie zum Beispiel die des Plattform-Anbieters Atalanda, können dabei unterstützen, stationäre Händler mit lokalem Bezug zu stärken. Atalanda bietet die Möglichkeit, Produkte von lokalen Händlern aus vielen Städten überregional online sichtbar zu machen und auch online zu bestellen. Die gekauften Artikel kann man sich entweder nach Hause liefern lassen oder im jeweiligen Geschäft persönlich entgegennehmen.

Es braucht für eine erfolgreiche Kooperation aber immer eine verbindende Klammer, die alle Beteiligten zusammenhält. Bei vielen Verbundgruppen, etwa im Lebensmittelhandel (Edeka, Rewe), im Elektronikhandel (Expert, Euronics) oder auch bei unserer SPORT 2000 ist das zum Beispiel die starke Marke, an der die einzelnen Unternehmer interessiert sind.

Im Falle der ANWR GROUP gibt es aber noch weitere Gründe, der Kooperation beizutreten: die bankgestützte Zentralregulierung und die Messeinfrastruktur zum Beispiel. Oder auch die digitalen Services und Handelslösungen, die die Händler gemeinsam nutzen können. Egal, wie viele Instrumente unsere Mitglieder nutzen oder nicht nutzen, die ANWR Unternehmensgruppe bietet durch ihre vielfältigen und leistungsstarken Services vor allem Stabilität, Sicherheit und ein großes Potenzial für Kreativität. Und davon profitieren alle.

Der einzige Weg?

Ich glaube, dass kleine und mittelgroße Unternehmen sowie Verbundgruppen untereinander in Zukunft mehr kooperieren müssen. Wir leben in einer Ära neuartiger Quasi-Monopole, geschaffen durch die dramatische Digitalisierung der vergangenen 20 Jahre. Aber genauso, wie Monopole keine neue Erscheinungsform sind, ist auch das beste Gegenmittel gegen sie, die Kooperation, nicht neu. Wir nähern uns ganz langsam dem 200-jährigen Jubiläum der modernen Genossenschaftsidee, die einst als Reaktion auf die schwierigen Arbeitsbedingungen von Landwirten und Handwerkern gegründet wurde.

Natürlich gibt es in der Wirtschaft keine Allheilmittel, jeder Unternehmer tickt anders und nicht jeder wird gleich eng an Genossenschaften oder Verbundgruppen andocken wollen. Meine Erfahrung zeigt aber, dass kaum jemand, der sich einmal der Idee der Zusammenarbeit geöffnet hat, wieder in die Isolation zurückgeht.

Text: Frank Schuffelen
Illustration: Chrissie Salz

I
Frank Schuffelen,
Vorstandsvorsitzender der ANWR GROUP,
glaubt an den Erfolg von Kooperationen.
Auf der Suche nach geeigneten Partnern
empfiehlt er, den Blick zu weiten und
dabei Wettbewerber nicht auszuschließen.