Untenehmerische Pflicht

Wie Händler ihre Marke finden

Laut dem Markenexperten Colin Fernando tut jeder Einzelhändler gut daran, sich intensiv mit dem Thema Marketing auseinanderzusetzen. Wer die richtige Strategie hat, ist für die Zukunft gewappnet, erklärt er im Interview.

Herr Fernando, so mancher Einzelhändler behandelt das Thema Marketing wohl eher stiefmütterlich, empfindet es vielleicht als zu kostspielig oder hat schlicht keine Zeit. Ist das ein Fehler?

Ja, und zwar ein ziemlich großer. Der erste Fehler ist schon, all das als kostspielig wahrzunehmen. Marketing kann teuer sein, muss es aber gar nicht. Wir unterscheiden daher auch zunächst zwischen Markenführung und Marketing. Wenn man Markenführung für sich entdeckt, dann finden sich Möglichkeiten ganz anders zu denken. Es geht zunächst um die Frage, wie ich mich als Einzelhändler richtig positionieren will – und das bestenfalls gemeinsam mit meinen Mitarbeitenden.

Vor dem Marketing, also den einzelnen Maßnahmen, geht es also darum, sich eine Strategie zurechtzulegen?

Genau. Als Einzelhändler muss ich vom Ende her denken: Wer bin ich, wofür möchte ich stehen – und was kann ich dazu beitragen, damit das gewünschte Bild entsteht? Ich kann mich zum Beispiel dafür entscheiden, der nahbare Einzelhändler zu sein, der einen Wert für seine persönlichen Kunden haben möchte. Wenn ich dieses Ziel festgelegt habe, mache ich den nächsten Schritt rückwärts und überlege, wie ich das an den Kontaktpunkten rüberbringen kann. Das kann bis zum Geruch im Shop und der Musik reichen. Sollte es umsonst Espresso geben? Verkaufe ich Ware noch in Plastiktüten, liefere ich auch aus? All diese Fragen lassen sich dann beantworten.

Der erste Schritt kostet also kein Geld, sondern allenfalls Zeit. Welches Ziel sollten Einzelhändler denn dabei vor Augen haben?

Es geht erstmal nur darum, dass ich mich mit mir selbst auseinandersetze. Das Ziel sollte immer sein, sich im Wettbewerb voneinander zu unterscheiden. Dazu ist es übrigens wichtig, die eigenen Mitarbeiter einzubeziehen. Denn sie müssen das Konzept leben, sie sind schließlich mit den Kunden in Kontakt. Wenn mir das gut gelingt, habe ich die Basis für einen erfolgreichen Handel auch in herausfordernden Zeiten gelegt. Und wenn mir das nicht alleine gelingt, dann hole ich mir Hilfe von einem Experten.

Im Kampf gegen aussterbende Innenstädte tun sich Einzelhändler gerne einmal zusammen. Ist so eine Kooperation denn für die eigene Marke sinnvoll? Es könnte ja auch bedeuten, dass der einzelne Händler dadurch weniger wahrgenommen wird.

Kooperationen verfolgen zwar per Definition das Ziel, dass alle Kooperationspartner von der Zusammenarbeit profitieren, was in der Realität allerdings nicht immer einfach zu erreichen ist. Zumeist profitieren einige der Partner mehr als andere, was an den unterschiedlichen Ausgangspositionen und Markenimages der Einzelhändler liegt. Eine Kooperation sollte daher sehr genau geprüft werden und ermittelt werden, welche individuellen Vorteile, aber auch Risiken bestehen.

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Colin Fernando ist Partner bei der Beratung BrandTrust und Experte für Markenanalysen sowie für die Implementierung von Markenstrategien, insbesondere für B2B- und Sportmarken. Zudem ist er unter anderem Dozent an der Quadriga Hochschule und der Hochschule Luzern.

Das Internet ist voll von Blogs mit einzelnen Empfehlungen, selbstständigen Beratern und Marketing-Agenturen. Haben Sie einen Tipp, wie sich da gute von schlechten unterscheiden lassen?

Ich würde immer nach Empfehlungen gehen. Es kann sich lohnen, auch mal bei den Wirtschaftsförderungen der Städte nachzufragen, die haben in der Regel gute Kontakte. Am Ende ist die Chemie genauso wichtig wie Expertise. Denn der Experte muss das Innerste verstehen, richtig einschätzen können, wie ich als Einzelhändler ticke.

Streng genommen verkaufen Einzelhändler ja die Marken von Herstellern. Wie gut können sie da überhaupt herausstechen?

Ja, Einzelhändler sind ein Stück weit Transporteure dieser Marken, sie sind das Schaufenster.Aber es kommt auf das Gesamtspiel an. Der entscheidende Punkt ist doch: Welchen Grund gebe ich Menschen noch in die Filiale zu kommen? Mit einer großen Auswahl allein kann ich in der Regel nicht punkten, denn im Internet gibt es immer mehr. Als Einzelhändler muss ich Mehrwert bieten, Beratung und einen guten Service. Es muss ein Einkaufserlebnis sein. Und falls ich zum Beispiel den gewünschten Schuh nicht in der passenden Größe habe, muss ich in der Lage sein, ihn innerhalb kurzer Zeit in meine Filiale oder direkt zum Kunden schicken zu lassen.

Oder es passiert das, was viele fürchten. Und der Kunde nimmt die Beratung an, um das Produkt dann doch online zu kaufen. Lässt sich das durch Marketing verhindern?

Eines der menschlichen Bedürfnisse ist immer noch, sich mit anderen zu treffen und persönlichen Austausch zu haben. Das muss ich als Einzelhändler anbieten. Wer im Laden die Produkte ausprobieren kann, sie erleben kann, Authentizität in der Beratung spürt, der wird danach nicht einfach so das Produkt online kaufen, weil es ein paar Euro günstiger ist. Im Sporthandel spricht man zum Beispiel gerne von einer Community. In der Regel kommen Kunden ja auch in das Geschäft, weil sie etwas kaufen wollen. Da müssten die Unterschiede bei Preis und Lieferzeit schon enorm sein.

Der ein oder andere Händler setzt auch gerne auf Rabatt-Aktionen, Schlussverkäufe und Co. um Kunden zu locken. Was halten Sie davon?

Natürlich hat jede Branche gewisse Gesetzmäßigkeiten, die man berücksichtigen muss. Dazu gehören auch Abverkaufsmaßnahmen, um das Lager frei zu räumen. Die saisonalen Trends würde ich mitgehen. Wenn ich aber so schlecht aufgestellt bin, dass ich immer wieder Sonderaktionen fahren muss, dann liegt das Problem woanders. Das kann dann die Lage der Filiale sein, die Auswahl meiner Produkte oder mein Service.Es kommt auch darauf an, wie ich mit den saisonalen Rabatten umgehe: Mache ich den Standard und kleistere meine Fenster mit Plakaten voll – oder organisiere ich vielleicht ein Event, mache eine Abverkaufsparty, vielleicht auch eine kleine Modenschau? Auch hier geht es darum, den Abverkauf so zu gestalten, dass ich mit der Aktion das Bild transportiere, das Kunden von mir haben sollen. Bei anderen Rabattaktionen kann ich auch bewusst auf das Gegenteil setzen, etwa beim Black Friday: Wenn ein Einzelhändler Selbstverständnis meines Geschäfts zu ermitteln und zu erarbeiten.

Wen will ich erreichen? Will ich Zusatzerlöse generieren und andere Kunden als die erreichen, die mich auch in meiner Filiale besuchen? Oder will ich eher die Kunden befriedigen, die in meine Filiale kommen, aber der Schuh ist gerade nicht in der richtigen Größe vorrätig? Letzteres nennen wir No-Line-Lösungen, weil hier die Online- und die Offlinewelt zusammengedacht werden. So kann ich meinen Kunden vor Ort versprechen, dass sie bei mir auf jeden Fall gut bedient und fündig werden. Das ist aus Markensicht ein großes Plus.

In zahlreichen Beiträgen im Netz wird zu Pop-up-Bereichen geraten. Ist das eine gute Marketingmaßnahme?

Sie können es sein, wenn ich es schaffe, diese Bereiche mit meinem Laden zu verbinden. Sonst erzeuge ich Irritation in den Köpfen meiner Kunden. Ziel muss immer sein, dass Kunden ein konkretes Bild über mich kreieren und genau das kann ich mit Marketing steuern. Liegt mir Nachhaltigkeit am Herzen, mache ich einen Popup-Bereich in diesem Feld auf, kooperiere vielleicht mit einem Hersteller. In dem Fall kann ich direkt von der Marke des Unternehmens profitieren. Gerade bei Marken mit Strahlkraft kann sich das lohnen, das nehmen Kunden auch durchaus wahr. Das Ganze lässt sich weiterdenken. Ich kann zum Beispiel ankündigen, jeden dritten Freitag im Monat ein kleines Event bei mir in der Filiale zu machen. Das bringt Regelmäßigkeit und führt dazu, dass Kunden häufiger kommen.

Wie steht’s um Sponsoring-Maßnahmen, etwa für den regionalen Fußballverein oder bei Straßenfesten?

Auch hier sollte man wieder vom Ende heraus denken. Wenn es mein Markenbild verstärkt, dann ist es eine gute Ausgabe. Sonst entsteht ein Logofriedhof. Ich klatsche es irgendwo hin und keiner verbindet damit etwas. Im Optimalfall ist ein Logo ein mit Bedeutung aufgeladenes Bild oder Symbol. Wenn ich das richtig einsetze, verstärkt es meine Position. Wenn ich für Sport stehe, vielleicht auch entsprechende Produkte verkaufe, dann ergibt das Sponsoring eines Fußballvereins zum Beispiel Sinn.

Wie gut lässt sich der Erfolg von einer guten Markenführung oder von einzelnen Marketingmaßnahmen messbar machen?

In Zahlen ist das schwer zu messen. Aber vielleicht sind die auch gar nicht so entscheidend, sondern das eigene Gefühl. Wenn ich diese Schritte konsequent gehe, eben vom Ende heraus denke, dann werden sich die Leute angezogen fühlen, das ist eine ganz logische Folge. Und ich kann mir deren Feedback ja in Gesprächen oder durch eine Kundenbefragung einholen. Man muss sich bewusst werden: Eine Investition in ein Markenkonzept ist keine Zusatzinvestition, es ist unternehmerische Pflicht.

Text: Jan Schulte